Sehnsucht nach dir

Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.
Alle meine Fehler rückgängig machen, all den Schmerz, den ich dir zugefügt habe, ungeschehen machen. Doch es geht nicht. Ich muss weiterleben, mit dieser Last von Schuld.
Diese Gedanken gingen mir in letzter Zeit öfters durch den Kopf. Ständig. Ich fühle mich so schuldig, so verantwortlich für das, was du dir angetan hast. Sogar bis in meine Träume verfolgt es mich. Der Schmerz, die Leere, die Angst. Die unglaubliche Trauer. Ich vermisse dich so sehr, und dafür hasse ich mich. Ich sollte nicht das Recht haben, dich vermissen zu dürfen.
Meine Augen blickten traurig und leer auf das Meer vor mir. Meine Füße waren halb in dem warmen, weichen Sand des Strandes vergraben. Früher hatte ich das Meer geliebt, die Freiheit und Unendlichkeit, die es ausstrahlte. Ich hatte es mit schönen Erinnerungen verbunden, die jetzt jedoch von dem Schatten der Ereignisse verdrängt wurden. Zu viel war passiert.
In der Ferne hörte ich, wie das Rauschen des Meeres von dem heiteren Lachen von Kindern übertönt wurde. Vor einiger Zeit hätte ich noch mitgelacht, mich über diese unbeschwerte, unschuldige Freude amüsiert, jetzt jedoch erfüllte es mich nur mit Sehnsucht.
„Hey.“, ertönte da die Stimme eines Jungen hinter mir.
Ich drehte mich um. Blickte in dunkle, traurige Augen. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, aber kein fröhliches, sondern ein Lächeln, dass mir mitteilte, dass er wusste, was ich empfand und das er genauso fühlte. Er stellte sich neben mich, den Blick nun auf das Meer gerichtet. „Du denkst an sie, oder?“, fragte er. Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob er es sah. Sein Gesicht wirkte voller Sehnsucht, Schmerz und Vorwürfen. Anscheinend hatte er mein Nicken gesehen, denn er flüsterte: „Ich auch. Immer. Jede Sekunde in meinem Leben.“
Ich schloss die Augen und lies kurz die Erinnerungen zu, die mich überkamen.
Dann öffnete ich sie wieder, blickte in sein Gesicht und fragte mich, woran er jetzt wohl dachte.


Ich stand neben ihr, blickte auf das Meer. Sie war ihre beste Freundin gewesen und ich weiß, dass sie die einzige ist, die mich verstehen kann, die meine Schmerzen teilt. Meine Gedanken schweiften langsam ab, ich dachte an den Brief, den ich heute dagelassen hatte. Die Worte gingen mir wieder durch den Kopf:

Viele Jahre sind nun schon vergangen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Du warst damals von mir gegangen und sagtest: „Bitte vergiss mich einfach, so ist es leichter für uns beide.“ Doch ich kann dich nicht vergessen, niemals. Deine Worte streifen wie Messer mein Herz, sosehr vermisse ich dich. Ich weiß, dass ich die Schuld an all dem trage. Ich weiß auch, dass ich von dieser Schuld, von diesen Gefühlen nicht mehr loskommen werde. Aber ich werde nie aufgeben um mein Leben zu kämpfen. Für dich. So viele Fehler habe ich gemacht…
Weißt du noch, wie wir früher gemeinsam hier waren? Hier, an unserem Lieblingsplatz, verborgen zwischen dichten Wäldern?
Wie wir uns nachts davon geschlichen haben?
Es war eine so schöne Zeit. Wohl die schönste meines Lebens. Ohne dich ist es nicht dasselbe. Es fühlt sich an, als hättest du ein Stück meines Herzens mit dir genommen. Was soll ich jetzt tun, nachdem du von mir gegangen bist, nicht mehr da bist, um mit deinem Lächeln mein Leben wie eine Sonne zu erhellen, die Schatten zu vertreiben?
Mein Leben ist leer ohne dich, kalt und dunkel, ohne Hoffnung.
Warum war ich nicht da, als du mich brauchtest? Warum musste ich dich erst verlieren, um zu merken, wie sehr ich dich liebe? Oh, so viele Jahre habe ich dir jetzt schon Tag für Tag geschrieben, die Briefe an deinem Denkmal bei unserem Lieblingsplatz vergraben. Und ich werde nie aufhören damit. Vielleicht kannst du sie ja lesen, dort wo du bist. Vielleicht kannst du mir ja verzeihen, was ich dir angetan habe. Dein Tod hat mich verändert. Ich habe gelernt, genauer hinzuschauen. Ich habe begriffen, was es heißt, Schmerz zu empfinden, aber auch, was es heißt, Liebe zu fühlen. Wahre Liebe. Wie sehr wünschte ich dir sagen zu können, dass du das Mädchen bist, das ich liebe, noch immer. Ich weiß, dass du nicht mehr da bist, aber ich kann dich nicht vergessen.

Und ich will dich nicht vergessen, auch wenn es schmerzt, an dich zu denken. Diese Sehnsucht…wird sie jemals vergehen? Ich wünschte, du wärst noch hier, hier bei mir.
Doch das bist du nicht und wirst du auch nie wieder sein. Ich habe Zeit sinnlos verstreichen lassen, die Zeit wo du noch hier warst. Ich habe daraus gelernt.
Ich muss weiterleben, weiterkämpfen, doch du wirst für immer in meinem Herzen sein.
Früher dachte ich, es wäre eine Schwäche zu weinen, inzwischen weiß ich, dass es eine Schwäche ist, seine Tränen zu unterdrücken und den Starken zu spielen. Das hast du mir beigebracht. Wie so vieles. Jeden Morgen besuche ich dich hier, schreibe dir einen Brief, den du wohl niemals lesen wirst, aber es beruhigt mich, es hilft mir, weil es für mich der einzige Weg ist, wie ich weiterhin mit dir reden kann.

Ich schreckte aus den Gedanken, als ein kühler Wind mir durch das Haar fuhr.
Wie viele Briefe hatte ich ihr schon geschrieben? Unzählig viele, und doch viel es mir nie schwer, neue Worte zu finden, die ich ihr noch nicht mitgeteilt habe. Jeden Tag lerne ich dazu. Es schmerzt, doch vielleicht ist es auch gut so. Heißt es nicht immer, man würde nur auf die harte Weise gut lernen? Oh, dass könnte stimmen, und trotz des unglaublichen Schmerzes bin ich froh, dass ich dazulernen konnte. Obwohl ich mir wünschte, es hätte eine andere Möglichkeit gegeben außer deinem Tod…
Nachdem ich eine Weile in Gedanken versunken auf das Meer hinaufgeschaut hatte, sah ich wieder zur Seite, sah zu der besten Freundin meiner verstorbenen großen Liebe.